Die, die mal drunter leiden werden fragen: Fokusgruppen zum Katalog 2.0 mit Studierenden
31. Januar 2009 von
Partizipative Entwicklung, die dritte: Nach Fokusgruppen mit Lehrenden vor einem Jahr, dem Test des ersten Prototypen im Usability-Labor im Oktober haben wir kürzlich wieder BenutzerInnen und ihre Bedürfnisse erforscht: Zwei Fokusgruppen mit 14 Studierenden aus unterschiedlichen Fachrichtungen haben im Januar stattgefunden und uns dabei geholfen, die Vorstellungen der Zielgruppe vom Katalog und ihre Anforderungen daran besser zu verstehen.
Ein wichtiges Ergebnis ist die neuerliche Bestätigung unserer Vorgehensweise: „Gut, dass endlich mal die gefragt werden, die später darunter leiden werden“ ist eines unserer Lieblingszitate. Was haben wir darüber hinaus gelernt?
Die Grafik auf der Startseite von beluga 0.6 – ein erster Versuch zur Visualisierung des Kataloginhaltes – ist gefloppt: Nicht die Zusammensetzung des Kataloges nach Medientypen, sondern ein thematischer Sucheinstieg wurde gewünscht, eine Gruppe rief besonders laut nach anklickbaren Tortendiagrammen, was der zweiten Gruppe wiederum nicht unbedingt zusagte, aber der Tenor war doch klar: Visualisierung ist prima, und auch „neckische Neuerwerbungslisten“ und Zusammenstellungen von Ausleihknallern, die zum Durchbrowsen und damit verbundenen überraschenden Entdeckungen führen, haben das Potenzial, angemessene „User Experience“ zu liefern.
Ein weiterer Schwerpunkt unserer jeweils zweistündigen Diskussionen waren die 2.0-typischen Funktionalitäten. Dabei gingen einige Hoffnungen zu Bruch: Persönliche Listen: Ja, selbige für andere zur Einsicht und Inspiration öffnen: Nein – „die anderen sollen ihre Arbeit doch selber machen“. Zur Erinnerung: Auch die Lehrenden waren von dieser Funktion wenig begeistert („Meine Liste ist doch etwas sehr Intimes“). Auch die Vergabe von eigenen Tags und das Erstellen von Rezensionen wurden höchstens lauwarm begrüßt, allerdings wurde in der Diskussion die These bestätigt, dass dieser user-generated content durchaus seinen Platz in abgeschlosseneren Systemen wie Lernplattformen oder sozialen Netzwerken hat.
Die Idee, die Katalogdaten durch Rezensionen von anderen Anbietern, namentlich Amazon oder anderen Buchcommunities einzureichen, wurde ebenfalls mit vielleicht überraschender Deutlichkeit verworfen. Die Studierenden erwarten Neutralität und Wissenschaftlichkeit vom Katalog, sie wollen sich ihr eigenes Bild machen und dafür am liebsten Inhaltsverzeichnisse, Auszüge und Klappentexte werden: „Wenn Google Book Search dabei ist, braucht man den ganzen Rest nicht“. Das ist dann auch die Bestätigung dafür, dem Beispiel der Helmut-Schmidt-Universtität zu folgen und sofort mit der Anreicherung des klassischen OPAC mit Google Book Search zu beginnen (siehe dazu netbib: Kataloganreicherung durch Firefox-Erweiterung).
Unklare Ergebnisse haben wir zum Thema Empfehlungsdienste erhalten: Befragt nach der Grundlage für vertrauenswürdige Empfehlungen formulierte eine der beiden Gruppen die Leitfrage „Was würde mein Prof von diesem Buch halten?“ und entwickelte unterschiedliche Umsetzungsszenarien für die spezielle Auszeichnung und Präsentation von Titeln aus Literaturlisten von Lehrenden. Die zweite Gruppe kam auf solche Ideen nicht, befragt nach ihrer Einschätzung dazu gab es ein lakonisches „Profs sind selten up to date“. Gefallen hat beiden Gruppen aber die Möglichkeit der Suche nach „Ähnlichen Titeln“ in beluga 0.6 – die rein metadatenbasiert ist und das Anklick- oder gar Ausleihverhalten von NutzerInnen nicht berücksichtigt.
Ebenfalls offen: Die zusammenfassende Frage, ob es für soziale Funktionen im Bibliothekskatalog bloß zu früh ist oder ob der Katalog in der Tat nicht dafür taugt, das Teilen von Informationen über Literatur sowie den Austausch darüber zu befördern – so, wie wir es im beluga-Projektantrag hoffnungsvoll formuliert haben. Wir sind gespannt darauf, wie die studentischen NutzerInnen der in der Nachbarschaft entstehenden erziehungswissenschaftlichen Community life mit der Möglichkeit umgehen werden, Literatur aus beluga in ihre persönlichen Profile zu importieren.
Überaus konkrete Ideen für die weitere Entwicklung an beluga haben wir aus der erstmals erprobten Black Box-Methode vor der eigentlichen Diskussion mitgenommen: Wir haben die Studierenden nach den Dingen gefragt, die sie schon immer über Kataloge wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten, und sie gebeten, diese Fragen auf Karten zu notieren und die vorbereitete Black Box zu stecken. Die Box ist mittlerweile geöffnet und der Inhalt war überraschend: Viele Fragen nach den Hintergründen der bibliothekarischen Arbeit: „Wer gibt eigentlich die zig-tausend Daten ein, die einem Katalog zu Grunde liegen“ oder „Nach welchen Kriterien werden die Stich- und Schlagwörter für ein Buch ausgewählt“ – nebenbei bemerkt ein gutes Drehbuch für eine Dokumentation mit dem Titel „Hinter den Kulissen der Stabi“! Direkt für beluga relevant sind aber folgende Fragen:
- „Warum bietet man verschiedene Auflagen eines Titels separat an?“ Ein schönes Argument für die FRBRisierung!
- „Gibt es lernfähige Katalog, die anhand von Suchanfragen und angeklickten Treffern die Stichwortsuche erweitern?“ Ohne schon konrekt zu wissen, wie das umzusetzen wäre, eine Idee, die uns ausgesprochen sinnvoll erschien!
- „Wie erhalte ich Informationen über die Qualität und die Verwendbarkeit von Literatur?“ Hoffentlich schon in der kommenden Version von beluga über eine neue Facette in den Drilldowns, die es beispielsweise ermöglicht, gezielt Lehrbücher oder andere Genres zu selektieren.
- Gibt es zu dem Thema, das mich interessiert, „Gruppen“ von Literatur ? Diese und viele andere, ähnlich formulierte Fragen lassen uns über den oben bereits erwähnten thematischen Einstieg in die Suche nachdenken.
- „Welche Bücher werden eigentlich am häufigsten ausgeliehen?“ Warum hängen in Buchhandlungen wohl auch immer Bestsellerlisten?
- „Ist das System wohl fehlertolerant, d.h. werden Rechtschreibfehler erkannt und verbessert?“ Ebenfalls eine Baustelle, auf der wir im Moment sehr aktiv sind – aktuell experimentieren wir mit Aspell, nehmen aber auch gerne Anregungen aus der Katalog 2.0-Entwicklungscommunity entgegen!
[…] Die Hamburger Bibliotheken haben diejenigen, “die später darunter zu leiden haben” nach ihren Wünschen bezüglich des künftigen Bibliothekskatalogs befragt und die Ergebnisse publiziert. Zwei Fokusgruppen mit 14 Studierenden wurden untersucht. Dabei wurden einige Wunschvorstellungen der Bibliothekare zerpflückt. Die Studierenden wünschten zum Beispiel keinen Einstieg nach Medientypen, sondern nach Themen. Wenig begeistert war man von persönlichen Listen, die für andere frei gegeben werden können. Auch die Möglichkeit Rezensionen zu schreiben oder Rezensionen z.B. aus Amazon zu integrieren, stiess auf wenig Gegenliebe. Sehr begrüsst wurde jedoch die Integration der Google Book Search und von Klappentexten, Inhaltsverzeichnissen etc. Mehr dazu im Beluga-Blog. […]
Hervorragende Idee auch die Stakeholder zu befragen!
In Regensburg am 9.11.2009! Freu mich drauf.
Sonstiges Programm zur Mitwirkung auch hier http://tinyurl.com/d3c6hp
Na das ist doch schonmal der richtige Weg, die Studenten einzubinden! Wundert mich aber doch, dass trotz Wunsch nach vorwiegend inhaltlicher Präsentation der Tagging-Idee größtenteils widersprochen wurde. Dabei muss man sich ja gar nicht dem persönlichen Datenstriptease hingeben; es geht ja auch anonym, beispielsweise so oder so ähnlich: „unsere Benutzer verwenden folgende Tags für [Medium]: …“
„Neutralität und Wissenschaftlichkeit“ zu fordern und im nächsten Augenblick die Google-Buchsuche integrieren zu wollen, halte ich jedoch für etwas widersinnig…
Ansonsten weiter so! 🙂
[…] Das erhaltene Feedback – der generelle Wunsch nach einem thematischen Zugang – entspricht den Ergebnissen der Fokusgruppe aus Studierenden des […]
Ich bin sehr skeptisch, ob user-generated content in Form von entweder Rezensionen und/oder Sternchenvergabe in Bibliothekskatalogen ein Erfolg sein kann. Und zwar vor allem aus dem folgendem Grund, den ich an anderer Stelle bereits einmal formuliert habe und hier zitiere:
„Ein Vergleich mit Amazon, wo es ja recht gut funktioniert, macht das sehr deutlich. Amazon Deutschland verfügt über potentielle 80 Millionen KundInnen, die Reviews schreiben oder Sternchen abgegeben können. Der VÖBB als größte deutsche Stadtbibliothek kann nur etwa 3 Millionen potentielle KundInnen vorweisen. Bei einer großen deutschen UB kommen gerade einmal 50.000 mögliche AnwenderInnen zusammen. Wenn in Berlin jemand eine Rezension schreibt, kann das niemand in den Stadtbibliotheken von München oder Nordenham lesen, und kein/e Studierende/r in Köln wird je davon erfahren. Bei Amazon ist das anders: sie haben gerade einmal zwei, drei Konkurrenten. Im Bibliotheksbereich “konkurrieren” aber mehrere tausend Bibliotheken um die Bewertungen. Anders gesagt: ein Erfolgsmodell könnten diese beiden Recommender-Dienste nur werden, wenn die Bibliotheken zusammenarbeiten würden. Ein beim VÖBB abgegebenes Review müsste über eine Schnittstelle mindestens an alle anderen Stadtbibliotheken weitergegeben werden können, genau wie ein Sachtitel oder eine Personenangabe. Ein an der Bibliothek der TH Aachen abgegebenes Sternchen müsste auch bei den Bewertungen im OPAC der SUB Hamburg auftauchen. Noch besser wäre es, wenn solche Funktionen über die Grenzen von Bibliothekstypen hinweg weitergereicht würden. Aber da haben wir natürlich die wundervolle Zersplitterung in der deutschen Bibliothekslandschaft, die genau das auf alle Zeiten verhindern wird. Wenn das wenigstens innerhalb der jeweiligen Verbünde funktionieren würde. Wird es aber aufgrund der verschiedenen Bibliothekssysteme ebenfalls nicht.“ Im Original: http://haferklee.wordpress.com/2009/04/05/recommender-dienste-abgelehnt/
Um es noch einmal etwas anders zu formulieren: eine einzige Bibliothek wird niemals genügend kritische Masse in Form von BenutzerInnen haben, um von ihnen eine ausreichend große Zahl an Rezensionen zu erhalten. Alle deutschen Bibliotheken hätten das aber schon, weil die Benutzerzahl aller deutschen Bibliotheken um ein ganzvielfaches höher ist als die einer einzigen Bibliothek, die katalogisierte Titelzahl aller deutschen Bibliotheken aber höchstens um ein mehrfaches. Deshalb macht es nach meiner Meinung keinen Sinn, diesen Recommenderdienst nur für jeweils eine einzige Bibliothek zu entwickeln.
Ich bin weder Programmierer noch sonstwie Spezialist in dieser Richtung und somit auch niemand, der die Fachdiskussionen zu diesem Thema in Gänze verfolgen kann, sondern ein mit diversen anderen Aufgaben betrauter Bibliothekar, der aber über die Einführung solcher Dienste an seiner Bibliothek (mit-)entscheiden muss. Deshalb, auf die Gefahr hin, irgend etwas Simples übersehen und mich hier öffentlich grob blamiert zu haben: Was ist an obigem Gedankengang falsch?
Lieber Haferklee,
danke für die Einschätzung zum Potenzial von user-generated content im Katalog 2.0 – die wir bei beluga durchaus teilen, nach diesen und anderen Gesprächen und Diskussionsrunden mit BenutzerInnen.
Ich persönlich vertrete mittlerweile die These, dass wir an Modellen für die Aggregation von user-generated content aus unterschiedlichen Bibliotheken arbeiten sollten – denn ich glaube nach wie vor, dass dieser Content eine sinnvolle Grundlage für Empfehlungsdienste und andere Discovery-Tools bilden könnte. Hier könnten u.a. Bibliotheksverbünde aktiv werden. So sollte eine kritische Masse erreichbar sein. Eine Idee, die auch das britishce MOSAI-Projekt verfolgt, bei dem es zwar nicht direkt um user-generated content im Sinne von Tags, Bewertungen etc. geht, sondern um Ausleihzahlen und Literaturlisten:
http://www.sero.co.uk/jisc-mosaic.html
[…] beschreiben sie in einem sechsminütigen Video: Bei mir wurden beim Anschauen Erinnerungen an die Fokusgruppen-Interviews bei beluga wach, bei denen wir ebenfalls eine Black Box eingesetzt haben, um herauszufinden, was Studierende […]
Die Idee für eine Bibliotheks-Suchmaschine Studenten mit einzubeziehen ist sehr gut geeignet. Eine Suchmaschine, bei der Nutzer auch Rezessionen des jeweiligen Buchs sehen können. Nur so können sich Nutzer ein besseres Bild machen. Ob diese Rezessionen nun von Amazon sind, oder neutral gestellt und eingepflegt werden in das System ist egal. Der Vorteil von Amazon liegt darin, dass es bereits Rezessionen gibt. Bibliothekskataloge sind absolut sinnvoll für denjenigen, der darin etwas sucht. Durch Rezessionen in Bibliothekskataloge könnte der Nutzer noch mehr zu dem jeweiligen Buch erfahren und bereits gemachte Erfahrungen persönlich für sich nutzen.